Der Kuss der Macht
Macht tut nicht weh…
Macht ist der Kitt, der das zwischenmenschliche Gefüge neben der Liebe und der Sexualität am meisten prägt. Wir Frauen, wir haben bekanntlich keine: wir sitzen nicht mit Millionenapanagen in Vorstandsetagen, wir tragen Rolex nur dann, wenn Er sie uns zum Hochzeitstag schenkt, wir haben keine appetitlichen Sekretäre mit Sixpack im Armani-Anzug, die uns Kaffee bringen. Wir karren unsere Akten-Trolleys statt dessen selber von unseren kleinen, fensterlosen Büros ins Vorstandsmeeting und machen dabei in unserem viel zu engen Business Kostümchen eine Scheiß-Figur, während der männliche Teil der Bevölkerung dafür jemanden anheuert und demgemäß lässig und souverän im Brioni Anzug in die Vorstandssitzung pirscht, die eine Hand souverän im Hosensack (gar nicht subtiler Subtext: „Ja – ich könnte jetzt auch Hosenbillard spielen, wenn ich wollte, aber he, schaut her – ich bin so kultiviert und höflich, ich lass die Pfoten einfach nur im Sack, nicht am Sack…“), in der anderen Hand das Smartphone X Schießmichtot und vielleicht noch einen Schlüsselbund, selbstverständlich mit einem plakativen Porsche Anhänger daran… Dezenz reimt sich schließlich auf Demenz und das einzige Wort, das in seinem Kosmos auf „z“ enden darf ist „Frequenz“…
Die Krux mit dem Bildschirmschoner
Wir öffnen also unseren Laptop, hängen ihn an den Videobeamer – und schwupps sieht die gesamte Belegschaft als erstes unseren Bildschirmschoner: drei grinsende fettgefressene Gören mit Schoko-Patsch-Pratzen und rosa Krönchen… Sie denkt sich dabei gar nichts, schließlich liebt ja jeder Kinder, meint sie, und ihre, die sind schließlich nicht nur soooo herzig, nein, sie sind auch suuuuper süß und tooootaaal schlau! Die Marie-Chantal-Ernestine – Ernestine nach der Oma mütterlicherseits, wie Sie wissen müssen, weil väterlicherseits würd sie Brunhilde heißen mit drittem Namen und das kann man ja heutzutage einem Kind nicht mehr zumuten und überhaupt… in was für Zeiten die armen G´schroppen heutzutag´ leben müssen! Diese ungerechten Benotungen, wenn die Marie-Chantal-Ernestine sich einmal vertut, wenn sie in der Waldorf Schule ihren Namen tanzen muss. Sooooo ungerecht, da hat ihr die Lehrerin, diese blöde subversive Kuh, doch tatsächlich ein Minus gegeben. Kein Wunder, dass Frauen nicht in die Chefetage kommen, wenn sie schon im Vorschulalter immer nur gemobbt werden.
„Was sagen denn Sie dazu Herr Kollege? Herr Kollege??? Wo is er denn jetzt hin, der Dr. Meier?“
Ja, wo is er denn, der Dr. Meier???
Und während die anderen Frauen im Raum sich die Namens-Tanz-Probleme der Marie-Chantal-Ernestine ausführlich und unter gebührender Anteilnahmen und ausreichend betroffenem „Na geh!!“, „Nein, so eine Frechheit!“, „Also ich tät mich beim Direktor beschweren!“ kommentiert haben, hat der Dr. Meier das gemacht, was Männer IMMER in so einer Situation machen: er hat die Flucht ergriffen. Nicht ohne dass sich sein Vorurteil, was die Professionalität von Frauen in Chefetagen angeht, für die nächsten 20, 30 Jahre final einzementiert hat. Und während das pädagogische Schicksal der Marie-Chantal-Ernestine ausgiebig und pflichtschuldigst betreten von allen im Raum befindlichen Frauen beweint wurde, hat Herr Dr. Meier die Gelegenheit beim Schopf gepackt und das physische Vakuum genutzt, das sich aus der Marie-Chantal-Ernestin´schen Grüppchenbildung am anderen Ende des Raums ergab. Nämlich dort, wo die Macht in Form des Vorstandsvorsitzenden, des Aufsichtsrates und des Hauptaktionärs in geballter Pracht versammelt steht. Und völlig angstbefreit, weil bar jeglicher Konkurrenz – die diskutiert nämlich noch am andern Ende des Raums ganz unter sich darüber, ob der Wechselschritt beim „C“ vielleicht dazu beigetragen hat, dass das „H“ von „Chantal“ im wahrsten Sinne des Wortes „verhatscht“ wurde, also völlig konkurrenzlos kann Herr Dr. Meier dem versammelten Board erklären, dass ohne sein beherztes Eingreifen die Verkaufszahlen im letzten Quartal völlig unter Wasser gewesen wären.
Taschenspielertrick: Macht durch Identifikation
Die versammelte Alt-Herren-Schar neigt interessiert das Haupt – und schwupps – Macht durch Identifikation ist das Lehrstück, das sich gerade auftut: Herr Dr. Meier, der junge, aufstrebende, Hands-On-Typ, vielversprechend, erfolgreich, der nimmt seine Führungsriege, die ja eigentlich, so würde man meinen, Macht über ihn, den formal Untergebenen ausüben sollte, in mentale Geiselhaft. Er spiegelt das wider, was die alternde, formal höherstehende Alt-Herren-Partie in Vorstand und Aufsichtsrat gerne noch immer wäre: jünger, dynamisch, auf der Überholspur, der geborene Gewinner-Typ. Mit den Eigenschaften, die Herr Dr. Meier ihnen darbietet, mit denen kennen sie sich aus, das macht den Dr. Meier so berechenbar und vertraut für sie. Sie sehen sich vor 20 Jahren und denken sich: Ja, so einen Biss muss einer haben. Da ist es dann völlig nebensächlich, ob sie diejenige ist, die das Zahlenwerk aufbereitet, seriöse Marktstudien macht, Risken quantifiziert und so weiter und so fort. Ja, das ist natürlich wichtig in einem Unternehmen und selbstverständlich brauchen wir so verlässliche, loyale Mitarbeiterinnen wie die Frau X – aber sind wir uns ehrlich – Führungspersönlichkeit ist sie halt keine…
Vertikale Hierarchien und das Vakuum der Macht
Natürlich würden Sie jetzt einwenden: Aber der Herr Dr. Meier, der sägt doch bei erster Gelegenheit am Stuhl von seinem Chef, wieso setzt sich der so eine Natter an die Brust? Ganz einfach: Männer denken in vertikalen Hierarchien. Ihnen ist völlig bewusst, dass sie ihre Position jederzeit verteidigen müssen, wenn sie Schwäche zeigen. Revierkämpfe sind Part of the game und so ein alternder Silberrücken kommt gar nicht auf die Idee, dass sein Revier in Gefahr ist, weil er weiß, solange er genug Kraft hat, wird sich die Meute hinter ihm scharen und der Rivale hat sowieso (noch) keine Chance.
Mythos Jagdverband – es gibt ihn wirklich
Männer halten sich – solange wie das Gefüge in sich homogen ist – überwiegend an die Spielregeln. Sie haben kein Problem damit, andere zu betrügen, sobald es ein Vakuum an Reglement gibt. Aber solange die Regeln im Jagdverband klar und deutlich kommuniziert sind, halten sie sich an diese. Und – viel wichtiger: Sie sind in der Lage, diese blitzschnell zu durchschauen und anzunehmen. Während sie sich daran abarbeitet, wieso sie, die Rechnungswesensleiterin, das fensterlose Kammerl gleich neben dem Treppenhaus hat, wo sie doch immer im Haus arbeitet, viele interne Meetings ausrichten muss und daher doch eigentlich ganz klar auf der Hand liegt, dass sie doch das größere Zimmer bekommen müsste und nicht der Leiter der Sales-Abteilung, der eh den ganzen Tag „auf Lepschi“ ist (…weiß Gott wo sich der den ganzen Tag herumtreibt…) und daher doch sowieso kein großes Büro braucht… während sie mit ihrem Gram ob dieser Ungerechtigkeit alle ihre Mitarbeiter und sämtliche Kolleginnen ansudert, hat er ihr auch noch den begehrten Hof-Parkplatz mit Nummernreservierung weggeschnappt. So ein Schwein, der Typ, der kennt echt keinen Genierer. Kein Wunder, dass den seine Frau verlassen hat, einfach kein Benehmen!
Lerne das Spiel, auf dessen Spielfeld Du Dich bewegst!
Parkplätze und Zimmer sind in der heutigen Zeit, in der wir immer mehr von überall arbeiten, doch eh kein Thema mehr, wirft die beste Freundin beruhigend ein. Ja eh, sagt sie, aber es kränkt mich so, dass keiner sieht, dass ich mir den Arsch für diese Firma aufreiße. Stattdessen kriegt dieses präpotente faule Arschloch, mein Büro und meinen Parkplatz!!! Das stünde mir zu!!! Ich bin viel länger da und ohne meine Reportings könnt der nicht einmal irgendwas… Ja, eh. Da hilft aber kein jammern, sondern man muss endlich das Spiel lernen, auf dessen Spielfeld man sich bewegt!
Die Säulen struktureller Macht
Macht, so sollte man sich vor Augen führen, kann aus psychologischer Sicht als Fähigkeit zu handeln definiert werden bzw. als Möglichkeit, in einer anderen Person Kräfte einer bestimmten Größe hervorzurufen. Macht kann weiters individuell oder strukturell begründet sein und fußt gemeinhin auf eine der folgenden Säulen:
- Belohnung
- Bestrafung
- Legitimität
- Identifikation
- Expertentum
- Information
Bestrafung, Legitimität, Identifikation – muss das sein?
Gibt man Frauen die Wahl, würden wahrscheinlich 99% der Befragten sich mit Machtausübung durch Bestrafung, Legitimität und Identifikation zumindest schwertun, wenn nicht sogar als „antiquiert“ ablehnen.
Gerne die Expertin…
Gerne sehen wir uns jedoch als Expertinnen, deren Akzeptanz und Macht sich aus Sachkenntnis und Problemlösungsexpertise ergibt. Im stillen Kämmerlein oder wenn wir unter uns sind, würden wir vielleicht auch noch zugeben, dass wir eventuell, aber eigentlich eh nicht wirklich, jedoch manchmal und wirklich nur, wenn es absolut notwendig ist, Macht durch Information ausüben, also durch Zugang und Kontrolle von Informationskanälen unser Umfeld im Griff haben…
Aber bestrafen – das geht gar nicht, das verträgt sich nicht mit unserem weiblichen, aufgeklärten Selbstbild. Bestrafen tun wir uns nur selber, da wirkt´s am besten.
Legitimität für die Mikrowelle
Und Legitimität – mein Gott, das ist doch was für Dinosaurier, nein, das deckt sich gar nicht mit unserem modernen Management-Bild, wo es flache, amorphe Hierarchien gibt, in denen ganz von selbst jeder seinen Platz kennt und Normen und Strukturen doch nur jeden Kreativprozess, der selbstverständlich auch bei der Bilanzierung eines Konzernabschlusses unabdingbare Voraussetzung für produktive Arbeit ist, gleich im Keim ersticken würden. Nein, wir duzen uns lieber alle und wundern uns dann, warum uns der um 20 Jahre jüngere Revisionsassistent auf den Schädel scheißt oder das Lehrmädchen in der Arbeitszeit auf Tinder den Traumprinzen sucht. Aber weil wir Regeln und Strukturen ja doch irgendwie lieben, zumindest, wenn sie uns nicht selbst zu sehr unter Druck setzen, pinnen wir liebevoll gestaltete Zetteln auf die Klotür, um Männer zu Sitzpinklern zu erziehen und mailen jede Woche einen Plan für die Benützung der Mikrowelle samt Menüplänen durch alle Abteilungen.
Macht ist nichts Böses und auch keine Zauberkunst, wenn man weiß, wie´s gespielt wird. Ein Start ins Spiel ist schon mal ein gut durchdachtes Impressionsmangament – doch das ist eine andere Geschichte…