Und die Moral von der Geschicht´…

Chaos im Märchenland

Nicht nur die reale Welt, sondern auch die Welt der Fabeln und Märchen als letzte Bastion geradliniger moralischer Erzählungen ist irgendwie in Unordnung geraten. Gut und Böse sind kaum mehr zu unterscheiden. Und wer ist schuld? Im Zweifel immer unsere Urinstinkte und damit seit Erfindung des Marketing-Gags mit dem Apfel und der Schlange auch wir Frauen. Wer sonst?

Grimm´s Märchen als postfaktische Fortsetzung der Realität

In der postfaktischen Fortsetzung von Grimm´s Märchen hat Dornröschen den bösen Wolf geheiratet, der eigentlich ein Langweiler ist und gründet aus Verzweiflung mit Rapunzel, das mit dem notorischen Fremd-Gänger gestiefelter Kater verheiratet ist, eine Selbsthilfegruppe in Wien Donaustadt. Dieser schließen sich neben Rotkäppchen, die infolge sexueller Unterbefriedigung mangels Wolf auf der Suche nach Mr. Right in die Großstadt gezogen ist, auch Schneeweißen und Rosenrot an.

Hänsel und Gretel auf der Suche

Hänsel und Gretel schauen ebenfalls regelmäßig vorbei, sie spüren undefinierbare Unabhängigkeitstendenzen, der Wald ist ihnen zu eng geworden, im Schatten ihrer heimlichen Pilz-Erfahrungen verliert sogar die Hexe an Schrecken. Die Hexe ihrerseits hat den Hochofen im Wald aus ökologischen Gründen stillgelegt und sucht orientierungslos nach einem neuen, möglichst emissionsfreien Kick… Sie will die Angst neu erleben, um zu spüren, dass sie noch lebt.

Schneewittchen und die Emanzipation

Und dann ist da noch Schneewittchen… Eine tragische Figur in der Betrachtung der deutschen philologischen Geschichte der Emanzipation… Wer ist sie bzw. was sehen wir in ihr?

Gibt Schneewittchen das arme Häschen vor oder ist sie es tatsächlich? Kann ein weibliches Wesen, das neues Leben gebären kann, wirklich so hilflos sein oder ist ihre Hilflosigkeit Kalkül und Masterplan? Bedient sie sich eiskalt ihrer Schönheit und ihres Sex-Appeals, um an ihr Ziel zu kommen? Ist sie ein emanzipatorisches Kollegenschwein, dem die Zwerge nur deshalb huldigen, weil sie ihnen pünktlich um fünf das Essen auf den Tisch stellt oder eine Meisterin der Manipulation? Man grübelt weiter: Sind sie echt, die Legionen von Schneewittchens, die unseren Alltag bevölkern, uns jeden Tag unsere weibliche Unzulänglichkeit vor Augen führen?  Oder sind es Märchenfiguren, nicht existente Trugbilder, die uns durch photogeshopte Size Zero Posts und picksüße virtuelle Welten in unserer Unvollkommenheit demütigen?

Und darf Schneewittchen diese Welt, in der Männer noch immer darüber bestimmen, wie weibliche Authentizität und deren Spielräume auszusehen haben, so ungeniert manipulieren?

Lasst uns unsere eigenen Märchen schreiben!

Die Antwort ist that simple: Ja. Sie darf das. Wir dürfen das. Wir dürfen und wir können das Märchen von Schneewittchen neu schreiben. Wir können uns aus der Opferrolle herausschälen und uns selber aus dem Glassarg selbstauferlegter Restriktionen befreien. Alles, was wir dafür tun müssen, ist, mit unseren Stilettos dagegen zu schlagen, bis das Glas zerspringt – es empfehlen sich im Zweifel also genagelte Absätze!

Wir müssen nicht authentisch sein in einer Welt, in der Authentizität lediglich ein billiger Marketing-Schmäh ist. Wir müssen uns endlich davon lösen, dass wir nur akzeptiert werden, wenn wir „echt“ sind und „rein“.

Wir dürfen und müssen verschiedene Facetten von uns entwickeln und leben, denn das ganze Leben ist eine Bühne und wir sind nur dann erfolgreich, wenn wir es den Männern gleichtun und in jeder Szene des Theaterstücks „Leben“ auftauchen und unser Repertoire alle Genres beinhaltet.

Masterplan für´s Leben

Wir dürfen genauso manipulativ sein wie unsere Männer und wir dürfen auch genauso berechnend sein. Nichts daran ist unweiblich, wenn wir einen Masterplan für unser Leben, für unsere Karriere, für unsere Beziehungen haben. Denn was die einen vor allem bei uns Frauen manipulativ und berechnend nennen, nennt man bei Männern charismatisch, führungsstark und eloquent.

Nie dürfen wir vergessen: Jede Story kann man so oder so erzählen – die Macht der einzelnen Worte bestimmt die Macht der gesamten Erzählung. Wer die Oberhoheit über die Erzählung hat, hat auch die Macht über ihre Deutungshoheit und damit über den faktischen Einfluss ihrer Protagonisten.

Und was ist jetzt die Moral von der Geschicht´? Ganz einfach: Sei HEUTE die Autorin Deiner eigenen Erzählung, denn dann bist Du MORGEN die Heldin Deines ganz persönlichen wahrgewordenen Märchens!